Zum Hauptinhalt wechseln

Dr. Jasmin Wiedemann, Chefredakteurin Reiter & Pferde in Westfalen.

© Reiter und Pferde

Die schönste Zeit des Tages

Niemand hat sich das Jahr 2020 so vorgestellt wie es gekommen ist. Es fing gut an – doch ab März änderte sich schlagartig alles. Am
16. März wurde per Anordnung durch Bundes- und NRW-Landesregierung verfügt, den Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen für den Publikumsverkehr zu schließen. Erstmals tauchte in der April-Ausgabe von „R&P“ das Wort „Corona“ auf. Mit allen frustrierenden Beschränkungen und Verhaltensregelungen, die damit verbunden sind.
Wenn im Sommer bei schönem Wetter auch die Hoffnung aufgekeimt war, dass alles gut handhabbar wäre, hat uns das Virus nun im Herbst/Winter wieder eingeholt und neuerliche heftige Einschränkungen gebracht. Manche verschobenen Turniere wurden erneut verschoben oder abgesagt. Aber es finden aktuell auch Veranstaltungen statt. Sogar große, internationale Events. Allerdings muss man die mit der Lupe suchen. So trägt das Internationale Reitsportzentrum Riesenbeck vom
3. bis 6. Dezember die Deutschen Meisterschaften der Springreiter eingebettet in ein internationales Turnier aus. Nur brauchen Sie sich nicht auf den Weg dorthin zu machen – alles ohne Publikum natürlich. Auch die Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde finden wie geplant am „Schiebetermin“ 9. bis 13. Dezember in Verden statt – ohne uns normale Zuschauer. Es bleibt nur, die Veranstaltungen im Internet zu verfolgen. Bei Drucklegung dieser R&P-Ausgabe konnte auch das Westfälische Pferdestammbuch seine Körungen stattfinden lassen. Reitpferde, Reitponys und Kleinpferde wie gewohnt und zusätzlich die aus Wickrath nach Münster-Handorf verschobene Kaltblutkörung. Statt wie sonst mit mehreren Tausend Zuschauern aber nur mit wenigen Hundert beruflich veranlassten Teilnehmern.
Mindestens bis zum 20. Dezember wird uns Lockdown Nr. 2 fest im Griff haben. Dann wünschen wir uns alle, dass wir mit unseren Familien ein schönes Weihnachtsfest feiern dürfen und danach Sylvester wenigstens mal ein klitzekleines bisschen auf die Pauke hauen können. Wohl wissend, dass nach so kuscheligen Festen und Zusammenkünften die Fallzahlen wieder ansteigen könnten. Deshalb: Bleiben wir vernünftig und passen auf uns und andere auf, wo immer es geht. Das Gute ist ja, dass wir uns um unsere Pferde kümmern dürfen. Die gefährden unsere Gesundheit nicht und die Zeit mit den Pferden ist doch ohnehin die schönste Zeit des Tages, oder?

Die Redaktion wünscht Ihnen herzlichst frohe Weihnachten und alles Gute für 2021.

Eine Aufarbeitung

Westfalen, erfolgreichstes deutsches Zuchtgebiet – 19 Medaillen – westfälische Pferde in allen Finals vertreten – das sind aus unserer Sicht die Highlights der Bundeschampionate 2018. Dazu beigetragen haben im Teamwork die westfälischen Züchter, Ausbilder und Reiter.
Wie viel Aufwand dahintersteht, ein Pony oder Pferd soweit zu bekommen, das können sich alle denken. Deshalb Hut ab vor dieser Leistung. Platzierungen und Siege darzustellen, macht uns natürlich großen Spaß. Lesen Sie unseren Bericht vom Bundeschampionat, den wir mit einigen Porträts gespickt haben, auf 14 Seiten im Heft (S. 48-61).
Genau solche Freude hat uns auch das Berichten über das „Turnier der Sieger“ bereitet – Lieblingsturnier vieler münsterländer Pferdefreunde. Das war Sommer, Sonne, Sonnenschein – anders kann man es gar nicht sagen. Jedes Jahr realisiert der Westfälische Reiterverein um seinen Präsidenten Hendrik Snoek, der von früh morgens bis spät abends selbst mit anpackt, ein Sommermärchen vor dem Münster‘schen Schloss.
Dass es bisweilen aber hinter den Kulissen der heilen Turnierwelt gewaltig brodeln kann, hat ein Beitrag im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Anfang September zusammengefasst und damit die wohligen Sommerträume zumindest der Deutschen Reiterlichen Vereinigung jäh beendet. Denn die stand am meisten im Kreuzfeuer, als Dachverband, der die Spielregeln für den Turnierzirkus erlässt und überwacht. Die Spiegel-Redakteure hatten wochenlang Reiter, Eltern und Trainer zum Thema Alkoholmissbrauch, sexuelle Übergriffe und anderem Fehlverhalten befragt und daraus eine mehrseitige Reportage gestaltet. Die zeichnet das Sittenbild einer jungen deutschen Springreitergarde, die sich reich, verwöhnt, erfolgsversessen, alkoholisiert und übergriffig auf Turnieren herumtreibt. Wer das liest, mag seine Kinder gar nicht mehr aufs Turnier lassen, zumindest nicht auf mehrtätige, große Championate mit Partys und Lkw-Übernachtungen.  
Was ist wirklich geschehen? Zunächst einmal handelt es sich um Einzelfälle. In dem Spiegel-Beitrag werden Fälle geschildert, die der FN und auch dem Landesverband Westfalen bekannt sind, aber auch solche Vorfälle, die keinem der Verbände zugetragen wurden.
FN und auch der Landesverband Westfalen haben klare Stellung bezogen. Und die zum Teil noch im Verfahren befindlichen Fälle und auch die Maßnahmen und Konsequenzen dargestellt, die diese nach sich gezogen haben oder es noch tun werden. Zudem gab und gibt es bereits seit etlichen Jahren Präventionsmaßnahmen des Pferde-sportverbands Westfalen und der FN.
Die Verbände halten sich aus Gründen der Sportgerichtsbarkeit aber mit offiziellen Meldungen über solche Vergehen zurück. Hingegen werden Konsequenzen, also beispielsweise Wettkampfsperren veröffentlicht.

Während die einen also bemüht sind, interne Lösungen zu finden, um den Sport nach außen rein zu halten, bemängeln die anderen, warum über diese Themen nichts geschrieben wird. Eine Aufarbeitung der Sachlage finden Sie auf den Seiten 18-22.

Wir packen das!

Wo normalerweise mehr als 2 000 Menschen sitzen, waren wegen Corona kaum Zuschauer auf den Rängen. Der Zeitplan lang gestreckt und obendrein am ersten Online-Auktionstag ein Mobilfunknetz ausgefallen – und trotzdem waren Körwoche und Junghengstauktionen des Westfälischen Pferdestammbuchs ein großer Erfolg.
Wie in den letzten Wochen lief es fast das ganze Jahr über. Die Pandemie beherrschte auch bei uns das Geschehen. Wir haben „Manschetten“ davor gehabt, wie man so sagt, und konnten keineswegs sicher sein, damit fertigzuwerden. Eine Herausforderung bleibt das Geschehen. Es wird uns auch im neuen Jahr noch nicht loslassen. Aber heute wissen wir mit den Erfahrungen aus 2020: Wir packen das!
Die Körwoche ist ein Höhepunkt im Jahreskalender der Pferdezüchter, von denen die meisten diesmal online dabei gewesen sein dürften. Corona wird das Wort – oder besser das Unwort – des Jahres 2020. Viele werden schwer gebeutelt aus der Krise kommen. Manche können sie geschäftlich nicht überstehen. Und einige überleben die Risiken des neuartigen Virus für Leib und Leben nicht, so traurig es ist, bevor Impfungen Schutz bieten.
Umso dankbarer können wir sein, dass uns das Jahr 2020 im Rückblick zwar manche schlaflose Nacht, aber keinen wirtschaftlichen Einbruch bereitet hat. Zwar mussten wir mit dem weitgehenden Verzicht auf Präsenzformate bei den Großveranstaltungen des Westfälischen Pferdestammbuchs erheblichen digitalen Aufwand betreiben. Aber dem Corona-bedingten Publikumsverzicht in der großen Halle stehen starke Teilnahmezuwächse in den digitalen Formaten gegenüber.
Das wurde auch dadurch möglich, dass wir mit den Gesundheits- und Ordnungsbehörden der Stadt Münster gut zusammengearbeitet haben. Manches ging verständlicherweise nicht, aber es war nicht alles unmöglich. So war keineswegs sicher, ob Körwoche und Auktionen im November überhaupt stattfinden konnten.
Versteigerungen und sonstige Umsätze sind im Ergebnis übers Jahr nicht schlechter gewesen. Unser Publikum ist durch die Netzübertragung sogar größer und internationaler geworden. Vor allem der Zuwachs an Internationalität und Reichweite ist ein Ziel, dem wir einen großen Schritt näher gekommen sind.
Wir werden selbstverständlich, sobald es geht, die Tore für das Publikum in Münster-Handorf wieder weit öffnen. Aber die digitalen Formate, die unsere Veranstaltungen in Ställe, Wohn- und Arbeitszimmer oder wohin auch immer streamen, werden wir fortführen. Man kann eine Seuche nicht loben. Aber tatsächlich haben wir Corona nicht nur gemeistert, sondern aus der Krise gelernt, was uns in der Zukunft nutzen wird.

Das ist eine gute Nachricht zum Jahresauftakt. Wir alle hoffen 2021 auf mehr davon. Ich wünsche es Ihnen und uns von ganzem Herzen und darf Ihnen versichern: Beim Westfälischen Pferdestammbuch unternehmen wir alles dafür.

Vorteil Freiluft

Sport ist wieder möglich – auch unter Dach – und in vollem Gange. Dabei haben Pferdesportler in Pandemiezeiten einen großen Vorteil: Alles geht draußen, was das Ansteckungsrisiko erheblich verringert, den Beteiligten ein gutes Gefühl gibt und die Argumentation gegenüber Behörden erleichtert. So können wir in dieser Ausgabe auch wieder eine relevante Sportberichterstattung präsentieren (S. 25 bis 37), nachdem es in der Juni-Ausgabe – einmalig in der Geschichte von R&P – überhaupt keine Nachrichten aus dem Sport gab.
Was für den Sport gilt, gilt ebenso für die Zucht. Mit Verspätung starteten die Fohlen- und Stutenschauen, viele Veranstaltungen mussten auch abgesagt werden, sei es weil die Gegebenheiten bei den Ausrichtern vor Ort ungeeignet waren, sei es wegen aktueller Pandemie-Entwicklungen, wie unlängst in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Doch schlussendlich konnten auch Schauen wieder stattfinden. Wir haben einige besucht und einen Rückblick mit vielen Fohlenfotos gestaltet. Thomas Münch, kommissarischer Zuchtleiter, fasst die Saison aus seiner Sicht zusammen (S. 42 bis 45).
Weil Präsenzauktionen nicht möglich sind, hat sich das Westfälische Pferdestammbuch neue Vermarktungswege erschlossen. Bereits die traditionelle Sommerauktion im Juni war online durchgeführt worden. Ihr folgten in den vergangenen Wochen dann Fohlenaktionen online in kurzen Intervallen. Sie ersetzen die beiden Fohlenauktionen, die zu normalen Zeiten während der Westfalen-Woche durchgeführt werden. Rund 160 Fohlen wurden so bisher vermarktet, wie Thomas Münch berichtet. Lesen Sie hierzu unsere Beiträge auf den Seiten 38 bis 41.
Losgelöst vom aktuellen Geschehen sind unsere drei großen Geschichten. Auf den Seiten 46 bis 49 lernen Sie Dieter Kellermann, seines Zeichens Stutenprofi, kennen.
Heinrich-Wilhelm „Kaiser“ Johannsmann erklärt die Basisarbeit zur Vorbereitung auf das Parcoursspringen (S. 58 bis 61) und last but not least erfahren Sie unter der Überschrift „Aufzuchtpferde richtig füttern“, was die führenden Experten in Sachen Pferdeernährung für das Management der Nachwuchshoffnungen empfehlen (S. 62 bis 68).

Vielleicht haben Sie es bemerkt: Der Text enthält bis hierher keinmal das allgegenwärtige Wort. Gar nicht so einfach, es zu vermeiden, aber nicht unmöglich. Zum Schluss sei es dann doch noch gesagt: Corona – hoffentlich bald Geschichte!

Ein Stück Identität?

Auch wenn allen Züchtern und Pferdefreunden in Westfalen die besten Wünsche zu Beginn des neuen Jahres gelten, so hat es doch für uns mit einem bitteren Beigeschmack begonnen. Das Brenneisen mit dem Westfalen-W brennt erst einmal nicht mehr. Viele Westfalen-Züchter ließen noch bis kurz vor dem Jahresende den spät geborenen Fohlen und anderen Nachzüglern quasi in letzter Minute den Westfalenbrand aufdrücken. Denn im neuen Jahr ist damit erst einmal Schluss.
Über die Gründe hat die „Reiter & Pferde“-Redaktion ausführlich berichtet. Inzwischen hat das Thema auch die allgemeine Presse und den Rundfunk der Region beschäftigt. Was aus Tierschutzgründen verständlich sein mag, bedeutet das vorläufige Ende einer alten Tradition. Eine Ausnahmeregelung im Tierschutzgesetz gibt es seit dem 1. Januar 2019 nicht mehr. Der Schenkelbrand ist dadurch zwar nicht verboten, darf aber nur unter Schmerzausschaltung gesetzt werden. Kaum zu glauben, aber genau dieses Lokalanästhetikum gibt es für Pferde leider (noch) nicht.
Ausgeschlossen ist es somit nicht, dass der traditionelle Schenkelbrand bei den Fohlen eine allerletzte Zukunftschance bekommt. Interessant zu verfolgen war hierzu auch der Facebook-Artikel des Pferdestammbuchs über das praktische Ende des Heißbrands. Positiv viele Pferdezüchter bekannten sich zum „dauerhaften Westfalen-W“. Das Pferd ist schließlich nicht irgendein Tier, sondern kommt selbst im nordrhein-westfälischen Landeswappen als eines von drei Stilelementen neben dem Rhein und der lippischen Rose vor.

In seiner heutigen Form ist das „W“ mit Kreuz und Krone vor einem halben Jahrhundert von Dr. Gerd Lehmann geschaffen worden. Der ehemalige Landstallmeister des Landgestüts in Warendorf entwickelte damals aus dem alten, etwas überladenen Wappen ein Kennzeichen, das noch heute in seiner klaren Form modernen Logo-Grundsätzen gerecht wird. Unser Zuchtleiter Wilken Treu hat dem 85-Jährigen als nachträglichen Dank eines der alten Westfalen-Brenneisen überbracht. Das „W“ wird Kennzeichen der westfälischen Pferdezucht bleiben, auch wenn es erst einmal auf dem Fell künftiger Fohlen nicht mehr zu sehen sein wird.
Beitrag teilen