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© A. Jandke

Immer in der Spur bleiben

Wie man die Schiefe erkennt und ein schiefes Pferd korrekt gymnastizieren kann, erläutert Reitmeister Martin Plewa.

Reite Dein Pferd vorwärts und richte es gerade“, so lautet ein viel zitierter Lehrsatz, den Gustav Steinbrecht (1808-1885) in seinem Buch „Das Gymnasium des Pferdes“ formuliert hat. Das „Vorwärtsreiten“ scheint einfach zu sein (wird aber dennoch oft falsch umgesetzt). Das „Geraderichten“ hingegen ist eine der anspruchsvollsten reiterlichen Aufgaben in der Pferde-Ausbildung überhaupt und gelingt daher vielen Reitern kaum oder gar nicht.
Warum soll überhaupt ein Pferd „geradegerichtet“ werden, und warum ist daher die Geraderichtung ein (wichtiger) Punkt der „Skala der Ausbildung des Pferdes“? Hierzu muss man wissen, dass Pferde (wie alle Lebewesen) von Natur aus „schief“ sind bzw. ihre Muskulatur auf beiden Körperhälften ungleichmäßig ausgebildet ist. Völlig symmetrische Lebewesen gibt es nicht; auch wir Menschen haben keine spiegelbildlich identische rechte und linke Körperhälfte, und unsere körperlichen Fähigkeiten sind rechts und links auch unterschiedlich ausgeprägt (Beispiel: Rechts- bzw. Linkshändigkeit).
Sich frei bewegende Tiere kommen mit ihrer natürlichen Schiefe in ihrem Leben gut zurecht. Da wir von unseren Pferden unter dem Sattel aber erwarten, dass sie auf beiden Händen gleich gut gehen, sie sich z. B. nach rechts wie links gleich gut wenden lassen oder sich auf beiden Händen gleichmäßig ausbalancieren, macht es Sinn, die Fähigkeiten eines Pferdes auch dahingehend zu entwickeln, dass auf beiden Händen eine gleichmäßige Durchlässigkeit und Leistungsfähigkeit erzielt wird.

Woran erkennt man Schiefe?

Wichtigstes und auffälligstes Kriterium ist die Tatsache, dass das Pferd auch auf gerader Linie mit einem oder beiden Hinterbeinen an der Spur der Vorderbeine vorbeitritt, es also nicht „hufschlagdeckend“ geht bzw. „spurt“. Es scheint, auch auf gerader Linie, in einer mehr oder weniger deutlichen „Körperkrümmung“ zu gehen.
Tritt ein Pferd mit den Hinterbeinen nach rechts vorbei, ist das Pferd in seiner Längsachse tendenziell nach rechts gebogen, nennt man das dann eine Rechtsschiefe (bzw. umgekehrt nach links die „Linksschiefe“). Da (aus noch nicht geklärten Gründen) die meisten Pferde rechtsschief sind, wird hier mehr auf das Phänomen der Rechtsschiefe eingegangen; für die Linksschiefe gelten die gleichen Hinweise, nur eben seitenverkehrt.

Vom Sattel aus spürt der Reiter vor allem, dass das rechtsschiefe Pferd vermehrten Kontakt zum linken Zügel sucht und es damit weniger (oft gar nicht) an den rechten Zügel herantritt. Das Gebiss ist dann im Maul nach links verschoben, z. T. sogar nach links herausgezogen. Solche Pferde nehmen in Rechtswendungen von sich aus die Stellung und Biegung nach rechts ein, während sie sich in Linkswendungen nur ungern stellen und biegen lassen.
Die linke Seite wird vom Reiter dann meist als „fest“ empfunden, weil er eine festere Anlehnung verspürt und damit meint, das Pferd wolle links nicht „loslassen“. Hierbei wird Reitern meist nicht bewusst, was die eigentliche Ursache der (hier) Rechtsschiefe ist: Der Grund dafür, wenn das Pferd die Längsbiegung (Längsbiegung beinhaltet Stellung und Rippenbiegung) nach links nicht annehmen will, ist nicht „Festigkeit“ auf der linken Seite, sondern eine verkürzte und damit weniger dehnungsfähige, also weniger losgelassene Muskulatur auf der gegenüberliegenden rechten Körperseite. Also ist eigentlich muskulär dann rechts die „feste“ Seite.

Bei manchen sehr schiefen Pferden kann man die unterschiedlich ausgeprägte Muskulatur auch im Stand feststellen, wenn man mal ein Pferd von beiden Seiten sorgfältig beobachtet und die beiden Körperhälften miteinander vergleicht. Weil bei rechtsschiefen Pferden auch die rechte Halsmuskulatur verkürzt ist, wird dadurch auch der Mähnenkamm nach rechts gezogen, und umgekehrt. Daher kann man oft schon an der Lage der Mähne erkennen, auf welcher Seite das Pferd schief ist. Vereinbarungsgemäß wird die Seite, zu der sich das Pferd von sich aus krümmt, die „hohle Seite“ genannt, die gegenüberliegende Seite, zu der sich das Pferd weniger gut biegen lässt, nennt man „Zwangsseite“.
Da die Qualität des Gehens eines Pferdes und damit seine Durchlässigkeit immer nur so gut sein können, wie sie auf der „schlechteren“ Hand sind, lohnt es sich sehr, die Auswirkungen der Schiefe weitgehend zu eliminieren, also gerade richtende Arbeit in jeder Phase der Ausbildung zu berücksichtigen. Wir müssen auch bedenken, dass es beim Geraderichten um eine Entwicklung der Muskulatur geht (vergleichbar zur Krankengymnastik beim Menschen) und sich daher Erfolge nur sehr langsam einstellen können. Ziel muss es sein, die Muskulatur auf der „hohlen Seite“ zu vermehrter Dehnungsfähigkeit und damit Losgelassenheit zu bringen, was jeglichen Zwang ausschließt!

Zwang darf in der Ausbildung eines Pferdes nie angewendet werden, aber gerade bei schiefen Pferden lassen sich Reiter oft dazu verleiten, was in Folge fast immer zu Widersetzlichkeiten führt.

Lesen Sie den kompletten Beitrag in der Ausgabe 11/2012 von Reiter & Pferde in Westfalen.
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